Faultierblog

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Nu geiht dat aba los hier

INNEN - KLINIK - TAG

Der erste Tag in der Klinik  ist schon zur Hälfte vorbei.
Ich hatte die Zeit nach dem Mittagessen genutzt, um mich etwas in meinem Zimmer einzurichten und ein kleines Schläfchen zu machen. Jetzt aber geht es zur psychologischen Aufnahme mit meiner zukünftigen Bezugstherapeutin. Also jene Therapeutin, die mit mir psychologisch arbeiten und auch sonst alles nicht medizinische anordnen wird.
Ich ziehe die Tür meines Zimmers zu, unter meinem Arm meine Unterlagen, und mache mich auf den Weg.

 

 

Können sie mir sagen wo ich hier bin?!

Die Klinik ist wie ein Hufeisen mit 3 Stockwerken angelegt. Schaut man von vorne auf das Gebäude, so befindet sich der Eingang in der Rundung, das so genannten Rondell. Von hier ausgehend gibt es die linke und rechte Seite des Hufeisens. Auf der linken Seite, dem „Therapietrackt“, sind auf drei Stockwerken alle Räume unterbracht, die für die Behandlungen von Nöten sind. So sitzen dort alle Ärzte, die medizinische Zentrale und die Therapeuten. Auf der rechten Seite, dem „Patiententrackt“, sind die Zimmer der Patienten untergebracht. Jedes Stockwerk hat den gleichen Aufbau. Das ist gut fürs Verständnis und man weiß in der Theorie wo man hin muss, es kann aber auch schon mal passieren, dass man im falschen Stockwerk landet und dann erst vor der Tür bemerkt, dass man hier wohl falsch sein muss.
Ich bin im Erdgeschoss recht weit hinten untergebracht, muss zunächst in die Mitte um dann von dort aus über die Treppe in den ersten Stock auf die linke Seite des Hufeisens zu wechseln.

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Wo ist hier die Couch?!

Ich stehe pünktlich vor der Tür, als sich selbige auch schon öffnet und mich eine junge Frau überrascht anlächelt.
"Herr Faultier? Sie hätten doch schon klopfen können. Dann hätten sie nicht hier warten müssen."
Sie bittet mich mit einer Geste in ihr Büro, schließt die Tür hinter sich und streckt mir die Hand zur Begrüßung hin. Etwas verdutzt gebe ich schließlich meine Hand in ihre und ein freundlicher, bestimmter Händedruck entsteht.
Sie muss meine Verwunderung bemerkt haben und erklärt: "Heute, weil es unser erster Kontakt ist, gebe ich ihnen zur Begrüßung noch die Hand. Danach nicken wir nur noch zur Begrüßung."

 

Zur Erklärung:
In diesem Krankenhaus ist Händeschütteln zur Begrüßung verpöhnt und es werden Alle gebeten davon Abstand zu nehmen. Es gibt überall Stationen zur Handdesinfektion, auf denen  diese Richtlinie erneut erwähnt ist. Der Grund leuchtet ein: Die Hand, als Hauptüberträger von Keimen, als Risikoquelle in einer Klinik zu vermeiden.
Daher bin ich auch so verdutzt, als meine Therapeutin mir die Hand reicht.

 

INNEN - Psychobüro - TAG

Ich schaue mich in ihrem Büro um. Auf der linken Seite ein langer Schreibtisch, voll mit Papieren, Post-its und süßen Karten und Nippes. Eine große Fensterfront gegenüber der Tür und in der rechten Ecke an diesen Fenstern stehen zwei Stühle und ein kleiner Tisch. Auf dem Tisch befindet sich eine Box mit Taschentüchern, ein Klemmbrett und Stifte. Eine Couch sehe ich nicht.
Sie gibt mir zu verstehen, dass ich mich setzen solle, während sie sich selbst in den Stuhl am Fenster setzt.
Es folgt die, wie ich sie gerne nenne, Aufwärmphase eines Gesprächs, in der die Gehirne der Gesprächspartner langsam etwas hochfahren und aneinander gewöhnt werden.
 

EINE ROUTINE JAGT DIE NÄCHSTE

Ich erfahre noch, dass dieser Teil hier "Hessisch-Sibirien" genannt wird und dann haben wir uns linguistisch genug aufgewärmt.
Aus ihrem Klemmbrett zaubert sie meine originalen Unterlagen, welche ich vor Wochen für die Aufnahme hier ausfüllen musste. "Eine Frage vorweg: Wünschen sie eine Frühverrentung zu beantragen?"   Z A C K !
Ich bin sprachlos, mein Hirn sagt auf einmal "Stopp, mal langsam hier, da kam ne Infooo! Was hat sie gerade gesagt?", mein Körper wird extrem heiß und meine Augen fangen an sich zu weiten. "Ähhm,ähh, also ehrlich gesagt... Ich weiß nicht was... also das war bisher noch keine Überlegung", stammel ich etwas verwirrt. "Also, nein. Nein! Ich wünsche nicht frühverrentet zu werden".
Herrje, was ist das denn für eine Frage? Ich habe ja noch nicht mal richtig in eine Rentenkasse eingezahlt, bin 26 Jahre alt und soll eine Rente beantragen? Was haben die nur aus meinen Unterlagen heraus gelesen? Ist es so schlimm um mich bestellt?
"Eine Routinefrage zu Beginn, die ich stellen muss. Ich bin nicht davon ausgegangen, dass sie eine beantragen wollen", klärt sie mich auf.

 

Nachdem das nun endgültig geklärt wäre, soll ich ein Formular ausfüllen. Auf diesem Formular stehen Fragen zu Kontaktpersonen, die im Notfall informiert werden sollen - Ärzte usw. . All das habe ich aber schon in den Unterlagen beantwortet, die im Vorfeld an die Klinik gingen. "Wir haben die Erfahrung gemacht, dass Patienten häufig nicht mehr in der Lage sind, alles selbst auszufüllen, überfordert sind und Hilfe von Angehörigen brauchen. Dadurch schreiben sie oft ganz andere Dinge auf, als sie wollen.", erklärt mir meine Therapeutin.
Ich muss schmunzeln. Habe ich mich doch auch unter Druck gesetzt gefühlt, als ich das Feld mit der "Kontaktperson" ausfüllen musste. Von meinen Eltern kam der Vorschlag, ich könne doch einfach einen von ihnen einsetzen. Und wenn ich das gar nicht so wollte? Sie hätten sich bestimmt gekränkt gefühlt, oder gedacht dass sie keine Rolle mehr spielen würden. Das wollte ich ja auch nicht. Ich ließ mir vor ein paar Wochen doch recht lange Zeit für diese Entscheidung. So fülle ich auch jetzt wieder den ganzen Kram, mit den identischen Angaben aus und warte auf das nächste Formular. Da kommt aber keines mehr. Alle Formalitäten sind für heute geklärt und meine Therapeutin beginnt das psychologische Gespräch mit mir zu führen.

 

 

First Date

Nachdem ich "meine Geschichte" heute morgen  bereits  der Co-Therapeutin und dem Arzt erzählt habe, interessiert sich jetzt natürlich auch meine Therapeutin für meinen bisherigen Krankheitsverlauf und die vermutenden Auslöser. Des Weiteren erzähle ich von meinem Werdegang in jüngster Vergangenheit.
Während des Gesprächs bemerke ich immer wieder, wie meine Therapeutin mich beobachtet. Ihr Blick richtet sich auf meine Schultern, wenn ich mich in meinem Stuhl neu positioniere. Auch sind meine Hände immer wieder Ziel ihrer Augen. Aber nicht weil ich so unglaublich schöne und weiche Hände habe, die der Traum einer jeden Frau wären(Meine Fingernägel sind eine reine Katastrophe). Nein, der Grund ist vielmehr, wie ich meine Hände halte, oder ob ich verkrampfe. Jede Bewegung wird wahrgenommen. So sehr sie sich auch bemüht es ganz nebenbei und unauffällig zu tun, worin sie echt gut zu sein scheint, ich registriere es dennoch. Auch ihr mehrmaliger Check, nachdem sie etwas bemerkt hat, ich wiederum bemerkt habe, dass sie etwas bemerkt hat, und dann versuche das Bemerkte zu ändern. Wären wir nicht in einer Klinik, sondern in einer Bar, könnte man meinen, dass wir während einem Flirt versuchen rauszufinden, ob die andere Person auf bestimmte Themen besonders reagiert, oder die Stimmung sich verändert. Ich weiß nicht genau, ob sie bemerkt, dass ich dieses Geschehen aufmerksam beobachte. Falls sie es bemerkt, dann lässt sie sich äußerlich nichts anmerken.

Wir sind mittlerweile an einem Punkt, an dem die Zeit weit fortgeschritten ist und sie der Meinung ist, sich einen "guten ersten Eindruck" gemacht zu haben. Wir kommen also langsam zum Ende unseres ersten Gesprächs und sie fragt : „Jetzt habe ich so viele Fragen an sie gestellt, haben sie denn noch Fragen an mich?“ Ich überlege kurz und sage dann : „Nö, eigentlich nicht. Dürfte alles klar sein für den Anfang“. 
Gleichzeitig fällt mir ein, dass es da doch eine Frage gibt, ich mir aber nicht sicher bin, ob ich sie stellen kann.

Es gibt eine Besonderheit an ihr, die mir direkt aufgefallen ist. Es geht dabei um die Aussprache von ihrem „R“. Ich bemerkte relativ schnell, dass die Aussprache von besagtem „R“  nicht ganz „rund“ war. Könnte eine Art Dialektfärbung in ihrer Aussprache sein. In der Mitte oder etwas weiter südlich von Deutschland zu verordnen. Aber ein paar Dinge sind da nicht ganz stimmig. So fiel mir auf, dass das sehr markant ausgesprochene "R" nur am Wortanfang und nach einem sogenannten Pop-Laut auftrat. Ich kam daher zu einem anderen Schluss und den wollte ich jetzt überprüfen.

"Also eine Frage hätte ich doch noch. Die wäre aber eher privater Natur. Dürfte ich sie trotzdem stellen?" Sie schaut mich etwas verdutzt an und antwortet dann "Ja, fragen sie"
"Mir ist ihr "R" aufgefallen und den damit verbunden "Sprachfehler". Zunächst dachte ich, dass sie eine Dialektfärbung aus der Mitte oder dem südlichen Raum von Deutschland haben" 

Meine Therapeutin fängt an zu lächeln und hört deutlich interessiert zu. 
"Im Laufe unseres Gesprächs fiel mir dann aber auf, dass dieses markante "R" nur an ganz bestimmten Stellen auftritt und ansonsten sehr normal klingt. Es tritt am Anfang eines Wortes und nach den Pop-Lauten auf. Das sind jene Konsonanten, die eine explosive Aussprache besitzen, wie t,k,p und b ,und wofür im Tonstudio ein sog. Pop-Schutz zum Einsatz kommt. Der ist aber wirklich nur im Studio zu benutzen und schützt weder vor Krankheiten, noch vor einer Schwangerschaft!
Daher kam ich zu dem Schluss, dass es sich weder um einen Sprachfehler, noch um eine Dialektfärbung handelt. Meine Vermutung ist, dass deutsch nicht ihre Muttersprache ist, sie hervorragend deutsch gelernt haben und das "R" ein kleines Überbleibsel aus ihrer Muttersprache ist. Alle anderen Buchstaben sind einwandfrei! Ich würde sie geographisch östlich auf dem Kontinent einordnen. Stimmt meine Vermutung?"


Meine Therapeutin schaut mich sehr erstaunt an, lächelt und antwortet dann hörbar amüsiert "Deutsch ist tatsächlich nicht meine Muttersprache" Sie erklärt mir, dass sie vor 11 Jahren nach Deutschland kam, hier studierte und blieb. Ihre Heimat liegt in Weißrussland.
"Ihre Beobachtungsgabe und ihre Analyse ist erstaunlich. Haben sie schon mal über ein Psychologiestudium nachgedacht?", fragt sie mich.
Ja, hab ich in der Tat schon. Ich kam aber zu dem Schluss, dass ich den Job nicht durchhalten, ich die Gespräche mit Patienten nach Hause mitnehmen würde, und das Ganze dann nicht gut enden würde." "Das kann ich verstehen. Sehr gut, dass sie das für sich herausgefunden haben. Und vielen Dank für den Hinweis mit dem Pop-Schutz. Das kannte ich bisher noch nicht".

Sie ist sichtlich amüsiert und wir verabschieden uns. Während ich zurück zu meinem Zimmer gehe, denke ich mir "Seit 11 Jahren in Deutschland und nur das "R" ist übergeblieben. Wirklich sehr beeindruckend!"
Das Gespräch verlief sehr gut, ich fühlte mich verstanden und meine Anspannung lässt langsam etwas nach. Ich laufe sogar mit einem Lächeln durch die Flure und grüße die anderen Patienten. Heute morgen fand ich bereits einen Zettel an meiner Zimmertür vor, dass mich mein Pate um 17 Uhr abholen möchte, um mir Alles zu zeigen. Bis dahin ist noch Zeit und die werde ich draußen bei den Rauchern auf einer Bank verbringen und schauen, ob ich da in ein interessantes Gespräch einsteigen kann.

Es grüßt herzlich

Das Faultier